∞ Leseprobe "Und immer du" ∞

Schlagartig holte ich tief Luft und riss meine Augen auf. Autsch! Ich musste sie sofort zusammenkneifen. Die Sonne schien durch das Fenster und erhellte den Raum so sehr, dass ich zunächst dachte, es sei alles weiß um mich herum. Langsam gewöhnten sich meine Augen an das Licht und ich erkannte erste Umrisse. Mein Kopf schmerzte. Meine Arme und Beine waren schwer. Ich wollte mich umschauen, doch mein Nacken fühlte sich steif an. Nur zögerlich drehte ich meinen Kopf, um die Umgebung zu erkunden. Ist das ein Krankenhaus? Eine rosafarbene Schmetterlingsnadel steckte im Rücken meiner linken Hand und ich verfolgte mit den Augen den Schlauch bis zum Infusionsbeutel. »NaCl 0,9 %« stand in großen, blauen Buchstaben auf dem weißen Etikett. Neben meinem Bett befand sich ein Monitor, der meinen Herzschlag überwachte. Ich blickte nach unten und sah durch den Ausschnitt des Patientenhemdes kleine Elektroden auf meiner Haut kleben. Ein hellgrauer Clip steckte an meinem Zeigefinger. Ich betrachtete ihn näher und sah ein rotes Licht durchschimmern. Plötzlich brummte etwas und die Blutdruckmanschette an meinem Oberarm

wurde enger. Langsam zog ich die Arme an und stieß mich vom Bett ab. Es fühlte sich an, als hätte ich meinen Körper monatelang nicht bewegt. Alles an mir war träge und kraftlos. Geschafft. Endlich saß ich. Die Tür zu meinem Zimmer öffnete sich und eine junge Krankenschwester kam auf mich zu. Mit ihren roten, locker hochgesteckten Haaren und dem von Sommersprossen übersäten Gesicht wirkte sie auf den ersten Blick freundlich.

»Oh! Sie sollten besser liegenbleiben!«

Sie legte eine Hand auf meinen Rücken, die andere auf meine Schulter und schob mich unsanft zurück ins Bett.

»Ich fahre Sie ein wenig hoch.«

Die anfangs empfundene Sympathie schwand dahin. Sie drückte die Fernbedienung, um die Kopfseite des Bettes aufzurichten. Es kam nur ein Kratzen aus meinem Mund, als ich etwas sagen wollte. Mit einem kurzen Nicken gab ich ihr zu verstehen, dass die nun erreichte

Position für mich angenehm war.

»Keine Sorge, es wird alles gut. Ich gebe den Ärzten Bescheid.«

Die Schwester schenkte mir Wasser in einen Becher, steckte einen Strohhalm hinein, stellte ihn auf den Beistelltisch und schob mir diesen direkt vors Gesicht, ehe sie ging. Ihre Bewegungen wirkten wie antrainiert und gefühllos. Der Strohhalm vor der Nase lud zum beinahe regungslosen Trinken ein. Das Wasser fühlte sich kühlend im Hals an. Tut das gut. Ich räusperte mich und probierte zu sprechen. Je mehr ich trank, desto mehr klang es wieder nach einer Stimme. Wie lange bin ich wohl schon hier? Ein gut gelaunter Pfleger betrat den Raum. Er war nicht besonders groß im Gegensatz zur Krankenschwester. Seine dunkelblonden Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Beide Arme waren bis

zum Handgelenk tätowiert. Er lächelte mich an. In seiner Gegenwart fühlte ich mich sofort wohl.

»Die Ärzte werden jeden Moment hier sein. Ich bin Martin, Ihr persönliches Mädchen für alles. Wie fühlen Sie sich?«

»Als hätte mich ein Laster angefahren«, krächzte ich. Er lachte. Warum er hier war, hatte ich nicht verstanden. Die Schwester war doch schon unterwegs, um die Ärzte zu holen. Da öffnete sich auch schon die Tür und sie brachte einen Arzt und eine Ärztin mit.

»Hallo, Frau Brandt. Ich bin Dr. Seidel und das ist Dr. Grothe. Wie geht’s Ihnen?«, fragte der junge Mann im weißen Kittel und kam auf mich zu, dicht gefolgt von einer reiferen Frau. Sein Blick traf meinen. Plötzlich blendete ich alles um ihn herum aus. Ich sah nur ihn. Alle anderen waren verschwunden. Oh, mein Gott! Ich war verunsichert. Für einige Momente fühlte es sich an, als würde alles in Zeitlupe ablaufen. Irgendetwas geschah, das ich nicht in Worte fassen konnte und noch nicht einmal mit einem Gefühl hätte beschreiben können. Einen Augenblick lang vergaß ich, dass mir alles weh tat. Stattdessen durchzog mich ein Taubheitsgefühl von den Zehen angefangen, über die Beine, meinen Oberkörper entlang durch die Arme, bis in die Fingerspitzen. Ich glaubte, sogar die Luft angehalten zu haben. Es war mir nicht möglich, zu wiederholen, was er eben zu mir gesagt hatte. Ich konnte mich nicht mal erinnern, ob es deutsche Sprache gewesen war. Obwohl ich ihm nur in die Augen sah, erkannte ich jedes Detail seiner Attraktivität. Ein stimmiges Zusammenspiel. Durch das schmale Gesicht, die dunklen Haare und seinem kurz gehaltenen Vollbart kamen seine braunen Augen besonders zur Geltung. Diese wunderschönen Augen ... ich ertrinke. Mein Herzschlag beschleunigte sich, was alle Anwesenden unschwer über den EKG-Monitor beobachten konnten.

»Alles ok? Sie hatten mindestens dreißig Schutzengel da draußen«, riss mich Dr. Grothe, die grauhaarige, faltige Ärztin neben ihm, aus meinen Gedanken. Ich schätzte die schmale Frau auf locker über Fünfzig, der Arzt hingegen war sehr schwer zu schätzen. Zwischen Dreißig und Vierzig wäre alles möglich. 

»Was ist denn passiert?«, erkundigte ich mich. Meine Stimme normalisierte sich immer mehr und nachdem ich den Blick von Dr. Seidel gelöst hatte, fühlte ich mich wieder am Erdboden angekommen. Die Krankenschwester reichte ihm meine Akte, doch er blickte mich – zu meiner Verwunderung – immer noch an. Was geschieht da gerade? 

»Doktor?«, fragte die Schwester. Sie wedelte mit der Akte vor seinem Gesicht. Er zuckte zusammen, nahm ihr peinlich berührt die Akte ab, schlug sie auf und verschaffte sich einen kurzen Überblick. (...)


(...) Der unverwechselbare Sound der Band Seeed war mein Weckton am Handy und ich realisierte, dass die Sonne schon aufgegangen war. Ich rieb mir die Augen und gähnte. Von Felix keine Spur. Wann er wohl gegangen ist? Er hatte meine Decke aus dem Schlafzimmer geholt und mich damit umhüllt. Als ich mich aufrichtete, entdeckte ich neben meinem Handy einen Zettel: »Wollte dich nicht wecken.« Außerdem hatte er eine kleine Sonne hingekritzelt, was mich zum Schmunzeln brachte. (...)